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Frau Kaminsky, in der öffentlichen Wahrnehmung existiert bis heute die Vorstellung von der vorbildlich emanzipierten DDR-Frau, die mühelos den Spagat zwischen Berufstätigkeit und Familie schaffte. Ein Mythos?
Anna Kaminsky: In gewisser Weise schon. Nach 1990 waren die Frauenpolitik und die Emanzipation der Frau in der DDR eines der wenigen Dinge, die in West und Ost positiv gesehen wurden. In vielerlei anderer Hinsicht gab niemand mehr einen Pfifferling auf diesen Staat. Man kann sagen: Die DDR hatte eine moderne Frauenpolitik – wenn man sie als Arbeitsmarktpolitik versteht. Es gab zu wenige Arbeitskräfte, deshalb ging es darum, Frauen zum Arbeiten zu bewegen. Alleinstehende, hart arbeitende Frauen mit Kindern waren Normalität. Aber so spielend leicht, wie gemeinhin behauptet, war der Spagat dann doch nicht. (…)

(…) Das änderte sich dann.
Ja. Vor allem mit der Generation, die ab 1959/60 erstmalig die zehnklassige polytechnische Oberschule komplett durchlaufen hat. Die bis zum 16., 17. Lebensjahr komplett die DDR-Sozialisation mitgemacht hat. In den 70ern ist diese Generation erwachsen und die Frauen haben ein neues Selbstbewusstsein. Das sieht man etwa daran, dass nun mehrheitlich Frauen die Scheidung einreichen und nicht mehr die Männer. Als Hauptgrund geben Frauen an, dass ihre Männer nicht im Haushalt helfen und Probleme mit der Emanzipation haben. Das ist auch die Zeit, als die Zahl der Abtreibungen in die Höhe geht.

Mrs. Kaminsky, in public perception, the idea of the exemplary emancipated GDR woman who effortlessly managed the balancing act between work and family still exists today. A myth?
Anna Kaminsky: In a way, yes. After 1990, women’s policy and the emancipation of women in the GDR was one of the few things that was seen positively in both East and West. In many other respects, nobody gave a damn about this state anymore. You could say that the GDR had a modern women’s policy – if you understand it as labour market policy. There was too little labour force, so it was all about getting women to work. Single, hard-working women with children were the norm. But the balancing act was not as easy as commonly claimed. (…)

(…) That changed then.
Yes. Especially with the generation that, from 1959/60, went through the ten-class polytechnic secondary school for the first time. Who completely participated in the GDR socialisation until the age of 16, 17. In the 70s this generation has grown up and women have a new self-confidence. This can be seen in the fact that the majority of women now file for divorce and not the men. The main reason given by women is that their husbands do not help in the household and have problems with emancipation. This is also the time when the number of abortions is increasing.

Volksstimme, 14.05.2017